Ethische Herausforderungen der Präzisionsmedizin
Prof. Dr. Dr. Eva Winkler
Die Präzisionsmedizin markiert einen tiefgreifenden Wandel, insbesondere in der Onkologie. Sie bietet bereits heute für einen Teil der Patienten und Patientinnen einen klinischen Nutzen, indem sie Diagnostik und Therapien nach molekularen Biomarkern stratifiziert.
Mit dem Fortschritt dieser Technologien treten aber auch komplexe ethische Fragen stärker in den Vordergrund: Im Forschungsbereich sind es die Herausforderungen im Umgang mit sensiblen genomischen Daten, um Vertrauen zu sichern; in der Phase der klinischen Prüfung die neuen Studiendesigns, die auch bei sehr kleinen Patientenkohorten ausreichend robuste Evidenz für Nutzen und Nebenwirkung neuer Therapien liefern sollen. Ein besonderer Fokus liegt dann jedoch auf der gemeinsamen Entscheidungsfindung und dem „Erwartungsmanagement“. Ärzte und Ärztinnen sind mit komplexen Studienergebnissen und Wahrscheinlichkeiten konfrontiert und müssen diese Patient*innen in belasteten Situationen vermitteln, um gut informierte Entscheidungen zu ermöglichen – mit allen psychoonkologischen Implikationen, die in diesen Situationen Ungewissheit und Hoffnung gleichermaßen mit sich bringen. Es bedarf daher einer sensiblen Kommunikation, die sowohl die Autonomie stärkt als auch überfordertem Entscheidungsdruck vorbeugt. Zudem wirft die Präzisionsmedizin jenseits der individualethischen Herausforderungen mit ihren sehr kostenaufwändigen Innovationen - z.B. in der Gen- und Zelltherapie - auch Fragen der Zugangsgerechtigkeit und Ressourcenverteilung auf.
Der Beitrag beleuchtet diese ethischen Fragen entlang der Translation von Wissen aus der Grundlagenforschung, über die frühe klinischen Studien hin zur Versorgung und plädiert für eine frühzeitige ethische Reflexion als integralen Bestandteil der Präzisionsmedizin.